Offener Brief an Cem Özdemir: Tierschutzbündnis fordert Korrektur des Tierversuchsrechts

Mitteilung: Ärzte gegen Tierversuche e. V., Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e. V., Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Die Bundesregierung will in diesem Jahr das Tierschutzgesetz überarbeiten. Ein Bündnis aus 14 Tierschutz- und Tierrechtsvereinen fordert Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, diese Gelegenheit zu nutzen, um die eklatanten gesetzlichen Defizite im deutschen Tierversuchsrecht zu beheben. Die aktuelle Rechtslage erlaubt noch immer schwerbelastende Tierversuche und schwächt die Genehmigungsbehörden.

Die EU-Kommission leitete 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein, weil es die EU-Tierversuchsrichtlinie nicht korrekt umgesetzt hatte. Die Rüge der EU umfasste 25 Punkte, die fast alle zu Lasten des Tierschutzes gingen. Nachdem Deutschland unter dem Druck der EU 2022 das Tierschutzgesetz und die zugehörige Verordnung nachbesserte, stellte die Kommission das Verfahren zwar ein, es bestehen jedoch weiterhin gravierende Mängel, insbesondere beim sensiblen Genehmigungsprozess für Tierversuche. … weiterlesen

Bundesregierung positioniert sich gegen die Trophäenjagd

Arten- und Tierschützer*innen fordern konsequentes Handeln

Mitteilung: Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Die Bundesregierung setzt ein starkes Zeichen gegen die Jagd auf bedrohte und international geschützte Tierarten. Nach dem Ausstieg aus dem Internationalen Rat zur Erhaltung des Wildes und der Jagd (CIC) zum 31. Dezember 2022 schafft sie in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU jetzt Klarheit: Eine Bejagung von Arten, die im Bestand bedroht sind, sollte grundsätzlich nicht erfolgen, heißt es. Das Bundesumweltministerium hatte bereits im April 2022 Restriktionen bei der Einfuhr von Jagdtrophäen angekündigt, nun zog das Landwirtschaftsministerium mit dem Austritt aus dem CIC nach.


Laut der Antwort will die Bundesregierung nun offenbar Maßnahmen erarbeiten, um die Trophäenjagd auf international geschützte Arten strenger zu regulieren und die Importe von Jagdtrophäen dieser Arten möglichst insgesamt zu reduzieren. Außerdem kündigte die Bundesregierung strengere Kontrollen sowie Importverbote bei fehlender Nachhaltigkeit an. Zudem will sie sich dafür einsetzen, die Einfuhrgenehmigungspflicht von bisher lediglich zwölf Tierarten auf alle Arten des Anhangs B der EU-Artenschutzverordnung auszuweiten.

Deutschland ist mit Abstand der größte Importeur von Jagdtrophäen international geschützter Tierarten in der Europäischen Union. 4.242 Einfuhrvorgänge von Jagdtrophäen international geschützter Tierarten gab es laut Bundesamt für Naturschutz zwischen 2016 und 2022, darunter 158 Leoparden, 117 Flusspferde, 143 Afrikanische Elefanten, 112 Löwen, 51 Geparden, 18 Breit- und 2 Spitzmaulnashörner sowie 6 Eisbären. Die Einfuhren sind mit 463 im Jahr 2022 wieder leicht angestiegen, wie aus einer aktuellen, noch nicht veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Frage der Abgeordneten Ina Latendorf (DIE LINKE) hervorgeht. Die negativen Effekte der Trophäenjagd für die Erhaltung der ohnehin schon dezimierten Tierbestände seien gravierend, unterstreicht ein großes Bündnis führender Tier- und Artenschutzorganisationen.

Tier- und Artenschützer*innen fordern seit langem Importverbote für Jagdtrophäen bedrohter und CITES-geschützter Arten nach Deutschland. Auch die Ethikfachgruppe der Weltnaturschutzunion (IUCN) appellierte vor einem Jahr an die Bundesregierung, der Trophäenjagd durch Importverbote endlich einen Riegel vorzuschieben.

Die Organisationen fordern, dass Deutschland als Schlüsselland in Europa Verantwortung übernehmen muss, und den unnötigen Abschuss unzähliger bedrohter Tiere beendet. In einer Zeit, in der mehr Tierarten vom Aussterben bedroht sind als jemals zuvor, müsse jede zusätzliche Gefahr für den Fortbestand der Arten ausgeschlossen werden. Der Abschuss von Löwen, Giraffen, Leoparden und anderen Arten, deren Populationszahlen in den letzten Jahren massiv geschrumpft sind, sei nicht zu rechtfertigen. Deutschland müsse sich nach jahrzehntelangen Versäumnissen endlich für einen ethischen und nachhaltigen Artenschutz positionieren.

Hinzu komme, dass immer mehr Menschen die Trophäenjagd ablehnten. Die Menschen hätten kein Verständnis dafür, dass sich einige Wenige das vernichtende Privileg erkauften, bedrohte Tiere zum Spaß und für ihre private Trophäensammlung zu töten. Gleichzeitig versuche die internationale Gemeinschaft diese Arten vor dem Aussterben zu schützen.

Das Bewusstsein in der Gesellschaft für einen ethischen Umgang mit Tieren hat in den letzten Jahren stark zugenommen. In einer aktuellen Umfrage sprechen sich 89 Prozent der Bundesbürger*innen gegen die Einfuhr von Jagdtrophäen nach Deutschland aus. In Südafrika, gemeinsam mit Namibia eine der beliebtesten Destinationen für deutsche Jagdtourist*innen, lehnen 68 Prozent der Befragten, unabhängig vom sozialen Hintergrund, die Trophäenjagd ab.

Die Organisationen fordern von der Bundesregierung ein Importverbot von Jagdtrophäen geschützter Tierarten nach Deutschland. Dies sei europarechtskonform und umsetzbar und ein längst überfälliger politischer Schritt. Andere EU-Länder seien hier deutlich weiter. Deutschland hinke als größter Trophäenimporteur leider hinterher.

Hintergrund:

  • Trophäenjäger*innen töten häufig die größten und stärksten Individuen einer Art, die für den Fortbestand ohnehin bedrohter Tierbestände besonders wichtig sind. Diese unnatürliche, menschengemachte Selektion schwächt die genetische Gesundheit der Population, verändert die Alters- und Geschlechtsverhältnisse, verringert die Reproduktionsraten und stört die soziale Ordnung nachhaltig.
  • Mit Beginn des neuen Jahres ist die Bundesregierung (unter Federführung des BMEL) aus der Jagdlobby-Organisation des „Internationalen Rat zur Erhaltung des Wildes und der Jagd“ (CIC) ausgetreten. Wie aus der offiziellen Begründung der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage der CDU-/CSU-Fraktion hervorgeht, ist die Trophäenjagd Grund des Austritts: „An der Trophäenjagd wird breite gesellschaftliche Kritik geübt. Die Bejagung von zum großen Teil geschützten Arten widerspricht zudem der grundsätzlichen politischen Ausrichtung der Bundesregierung. Außerdem hat sich der CIC in jüngster Zeit wiederholt öffentlich gegen ein von verschiedenen europäischen Ländern angestrebtes Importverbot von Trophäen gewendet […]. Diese Kritik an europäischen Partnern kann durch das BMEL auch mittelbar in keiner Weise mitgetragen werden.“
  • Mehrere europäische Länder haben sich bereits verpflichtet, die Einfuhr von Jagdtrophäen zu stoppen. Im Jahr 2015 haben Frankreich ein Einfuhrverbot von Löwentrophäen und die Niederlande für Trophäen von über 200 Arten erlassen. In Finnland tritt im Juni 2023 ein neues Naturschutzgesetz in Kraft, das den Import von Jagdtrophäen streng geschützter Arten (alle Anhang A- und zwölf Anhang B-Arten) von außerhalb der EU verbietet. Das belgische föderale Parlament hat einstimmig die Regierung aufgefordert, unverzüglich keine Einfuhrgenehmigungen für Trophäen von Arten mehr zu erteilen, die durch spezifische internationale Handelsbestimmungen geschützt sind. Außerdem hat das Europäische Parlament hat 2022 eine Resolution angenommen, die die Beendigung der Einfuhr von Jagdtrophäen geschützter Arten fordert.

Diese Pressemitteilung wird unterstützt von:
Humane Society International (HSI) / Europe

Pro Wildlife e. V.
Deutscher Naturschutzring (DNR)
Animals United e. V.
BBT – Bündnis bayerischer Tierrechtsorganisationen
Bund gegen Missbrauch der Tiere e. V.
Bundesverband Tierschutz e. V.
Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e. V.
Deutscher Tierschutzbund e.V.
ElasmOcean e. V.
Future for Elephants e. V.
Komitee gegen den Vogelmord e. V.
Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
PETA Deutschland e. V.
Rettet den Regenwald e. V.
Rettet die Elefanten Afrikas e. V.
SAVE Wildlife Conservation Foundation
VIER PFOTEN – Stiftung für Tierschutz
Vogelschutz-Komitee
Wildtierschutz Deutschland e.V.
Wildtierschutzverband – Dachverband für Wildtierschutz e. V.


9.2.2023
Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
www.tierrechte.de

 

„Fuchswoche“ in Altenberge: PETA übt wegen sinnloser Tötungen scharfe Kritik an Hegering Altenberge

 Tierrechtsorganisation fordert Verbot der Fuchsjagd in Nordrhein-Westfalen

Ab dem 1. Januar findet die sogenannte Fuchswoche des Hegerings Altenberge statt. Dabei wollen die Jäger und Jägerinnen unter dem Deckmantel des Artenschutzes möglichst viele Füchse töten. Die erschossenen Tiere sollen dann beim „Streckelegen“ am 8. Januar auf dem Hof Lütke Lengerich zur Schau gestellt werden. PETA übt scharfe Kritik an dem Jägerverein, da laut Tierschutzgesetz ein „vernünftiger Grund“ für das Töten eines Tieres vorliegen muss. Bei der flächendeckenden Jagd auf Füchse ist ein solcher nach Auffassung der Tierrechtsorganisation jedoch nicht gegeben. PETA fordert die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen auf, im Landesjagdgesetz ein Verbot der Fuchsjagd zu ergänzen. Zudem appelliert die Tierrechtsorganisation an die Vereinsmitglieder, die Fuchsjagd aus Tierschutzgründen umgehend zu stoppen und Respekt vor dem Leben zu zeigen.

„Bundesweit werden jährlich rund 400.000 Füchse durch Hobbyjäger sinnlos getötet, allein in Nordrhein-Westfalen sind es über 50.000 Tiere. Viele von ihnen sterben sogar einen langsamen Tod durch Fehlschüsse oder bei der grausamen Fallenjagd“, so Peter Höffken, Fachreferent bei PETA. „Es gibt keinen Grund, die nützlichen Tiere zu töten. Die Politik muss endlich handeln.“ … weiterlesen

Petition: Schluss mit der Straflosigkeit bei Tierquälerei!

Fordere die Bundesregierung auf, ihre Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Tierschutzvergehen müssen endlich effektiv verfolgt und hart bestraft werden.

Skrupellose Unternehmer machen Geschäfte mit systematischer Tierquälerei und bekommen dafür auch noch Beihilfen vom Staat. Eine neue Recherche von NDR, WDR und SZ (1) belegt, dass Tierhalter und Schlachtunternehmen Agrarsubventionen in Millionenhöhe erhalten, obwohl sie bereits wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz verurteilt wurden. (Quelle https://www.change.org/p/schluss-mit-der-straflosigkeit-bei-tierqu%C3%A4lerei)

zur Petition (weitere Informationen mit der Möglichkeit zum Unterschreiben)

 

Tierarztvorbehalt für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren ist verfassungswidrig

Mitteilung: Bundesverfassungsgericht

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass § 50 Abs. 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel vom 27. September 2021 (Tierarzneimittelgesetz – TAMG) gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt und nichtig ist, soweit die Vorschrift die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger und zugleich registrierter homöopathischer Humanarzneimittel bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, unter einen Tierarztvorbehalt stellt.

Die Beschwerdeführerinnen sind als Tierheilpraktikerinnen beziehungsweise Tierhomöopathin tätig und behandeln Tiere mit nicht verschreibungspflichtigen, hochpotenzierten Humanhomöopathika. Nach dem mit Wirkung zum 28. Januar 2022 neu eingeführten § 50 Abs. 2 TAMG dürfen sie solche Humanhomöopathika bei Tieren nur noch dann anwenden, wenn sie zuvor von einer Tierärztin oder einem Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind.

Dieser in § 50 Abs. 2 TAMG angeordnete Tierarztvorbehalt verletzt die Beschwerdeführerinnen in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und – im Falle einer der Beschwerdeführerinnen, die zugleich Tierhalterin ist – in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), soweit die Vorschrift einen Tierarztvorbehalt auch für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika vorsieht. Der damit verbundene Grundrechtseingriff ist nicht verhältnismäßig. Der Gesetzgeber hat vor dem Hintergrund, dass die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes und einer Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch als gering einzuschätzen ist und durch die Einführung einer Pflicht zum Nachweis theoretischer Kenntnisse im Bereich der Tierheilkunde weiter gemindert werden kann, keinen verfassungsrechtlich angemessenen Ausgleich vorgenommen.

Sachverhalt:

Nach der bis zum 27. Januar 2022 geltenden Rechtslage war Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, die Anwendung jeglicher nicht verschreibungspflichtiger Humanarzneimittel bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, vorbehaltlos gestattet. Seit dem 28. Januar 2022 stellt § 50 Abs. 2 TAMG dies unter den Vorbehalt, dass die Arzneimittel von einer Tierärztin oder einem Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind, und dass die Anwendung gemäß einer tierärztlichen Behandlungsanweisung erfolgt. Dieser so genannte Tierarztvorbehalt umfasst daher unter anderem die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger, hochpotenzierter Humanarzneimittel bei Tieren.

Die Beschwerdeführerinnen arbeiten seit vielen Jahren in eigener Praxis als Tierheilpraktikerinnen beziehungsweise Tierhomöopathin. Sie behandeln vor allem Hunde und Katzen, aber auch Pferde und teilweise Kleintiere. Therapeutisch arbeiten sie nahezu ausschließlich klassisch homöopathisch und verwenden dabei hochpotenzierte Humanhomöopathika, die registrierungspflichtig, aber nicht verschreibungspflichtig sind. Eine der Beschwerdeführerinnen hält auch privat Hunde und Pferde, die sie bei Bedarf ebenfalls mit diesen Arzneimitteln behandelt.

Die Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen § 50 Abs. 2 TAMG und rügen eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Als Tierhalterin rügt eine der Beschwerdeführerinnen zudem eine Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

A. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig, soweit die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 (allgemeine Handlungsfreiheit) und Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) rügen.

Das Tierarzneimittelgesetz dient als solches zwar auch der Umsetzung und Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Union (vgl. § 1 Abs. 3 TAMG). Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die Prüfung des § 50 Abs. 2 TAMG im angegriffenen Umfang ist gleichwohl eröffnet, da es sich insoweit nicht um die Umsetzung zwingenden Unionsrechts handelt. Die Regelung setzt weder vollständig vereinheitlichendes Unionsrecht aufgrund eines Umsetzungsauftrags um, noch dient sie der Anpassung an insoweit verbindliches Unionsrecht.

B. Die Verfassungsbeschwerden sind begründet.

I. § 50 Abs. 2 TAMG greift unverhältnismäßig in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der als Tierheilpraktikerinnen beziehungsweise Tierhomöopathin tätigen Beschwerdeführerinnen ein.

  1. Soweit § 50 Abs. 2 TAMG die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren unter einen Tierarztvorbehalt stellt, greift die Regelung in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerinnen ein.
  2. Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

a) Der für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren angeordnete Tierarztvorbehalt verfolgt allerdings einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck. Die in den Gesetzgebungsmaterialien genannten Zwecke der „Fortführung und Anpassung an die europarechtlichen Vorgaben“ des § 57a AMG a. F. können die angegriffene Regelung zwar für sich genommen nicht tragen. Auch die Arzneimittelsicherheit in Gestalt des Schutzes vor einer Fehlmedikation kann nicht als legitimer Zweck herangezogen werden, denn es bestehen keine hinreichend tragfähigen tatsächlichen Erkenntnisse dazu, dass durch die Anwendung von hochpotenzierten Humanhomöopathika bei Tieren Gefahren für Tier, Mensch oder die Umwelt zu besorgen sind.

Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Tierarztvorbehalt aber den legitimen Zweck, die Qualität von Diagnostik und Therapie bei Heilbehandlungen von Tieren zu sichern. Es dient dem Tierschutz und der Gesundheit von Mensch und Tier, wenn Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen durch nicht ärztliche Personen vermieden werden. Zwar lassen die Gesetzesmaterialien ein entsprechendes Anliegen des Gesetzgebers nicht erkennen. Es handelt sich insoweit aber um einen objektiv vernünftigen und sachlichen Zweck, auf den auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu den Verfassungsbeschwerden hinweist.

b) Der für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika angeordnete Tierarztvorbehalt ist zur Erreichung des Gesetzeszwecks im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet und erforderlich. Er ist jedoch nicht verhältnismäßig im engeren Sinne.

aa) Der Eingriff in die freie Berufsausübung hat erhebliches Gewicht. Tierheilpraktiker und Tierhomöopathen, die klassisch homöopathisch arbeiten und daher nahezu ausschließlich hochpotenzierte, nicht verschreibungspflichtige Humanhomöopathika anwenden, sind im Kern ihrer Tätigkeit betroffen. Eine weitere berufliche Tätigkeit ist auf diesem Gebiet ganz weitgehend nicht möglich.

bb) Mit dem Tierschutz sowie der Gesundheit von Tier und Mensch stehen dem Eingriff schützenswerte Belange von erheblichem Gewicht gegenüber. Tiere sollen vor körperlichen Schmerzen, Leiden und Schäden durch Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen durch nicht ärztliche Personen bewahrt werden. Mit Verbesserung des Tierschutzes wird ein besonders wichtiger Gemeinwohlbelang verfolgt, denn die Verfassung selbst verpflichtet den Gesetzgeber durch Art. 20a GG, geeignete Vorschriften mit dem Ziel des Tierschutzes zu erlassen.

cc) Die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung der hier verfolgten Gemeinwohlbelange ist jedoch als nicht sehr hoch einzuschätzen und kann vor allem durch die Einführung einer Pflicht zum Nachweis von Kenntnissen im Bereich der Tierheilkunde weiter gemindert werden.

     (1) Das Tierschutzgesetz (TierSchG) und das Tiergesundheitsgesetz (TierGesG) enthalten verschiedene sanktionsbewehrte Verhaltens- und Anzeigepflichten, die jedenfalls in schwerer wiegenden Fällen die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes und einer Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch durch Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen im Rahmen gewerblich durchgeführter Heilbehandlungen teilweise mindern können.

     (2) Die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung der hier geschützten Gemeinwohlbelange schätzt der Gesetzgeber selbst nicht als sehr hoch ein, da er eine Gefährdung im Hinblick auf zahlreiche andere Heilbehandlungen bei Tieren grundsätzlich hinnimmt.

Dass mit einer Heilbehandlung durch Tierheilpraktiker und Tierhomöopathen gewisse Gefahren für den Tierschutz und die Gesundheit von Tier und Mensch einhergehen, weil nicht approbierte Personen nicht die gleiche Gewähr für eine hohe Qualität von Diagnostik und Therapie bieten können wie ein Tierarzt, ist keine Besonderheit der Anwendung von Humanhomöopathika bei Tieren. Dies gilt ebenso zum Beispiel für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Tierarzneimittel (etwa Tierhomöopathika) oder alternativer Heilmethoden (etwa Pflanzenheilkunde), die vom Gesetzgeber weder im Tierarzneimittelgesetz noch an anderer Stelle unter einen Tierarztvorbehalt gestellt, sondern auch Personen ohne spezifische Ausbildung unter Anwendung unterschiedlichster Therapieansätze vorbehaltlos gestattet werden. Die Gefahr von Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen und das Risiko, dass auf Menschen übertragbare Infektionskrankheiten unerkannt bleiben können oder falsch behandelt werden, nimmt der Gesetzgeber dort hin.

     (3) Die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes sowie einer Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch kann aber vor allem dadurch weiter gemindert werden, dass die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren durch nichtärztliche Personen zumindest vom Nachweis solcher Kenntnisse abhängig gemacht werden, die dazu befähigen einzuschätzen, inwieweit die Zuziehung eines Tierarztes oder die Verweisung an einen Tierarzt erforderlich ist.

dd) Vor diesem Hintergrund erscheint der Tierarztvorbehalt für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika zur Sicherung der Qualität von Diagnostik und Therapie im Ergebnis nicht mehr angemessen. Die als nicht sehr groß einzuschätzenden Gefahren können durch die Einführung einer Pflicht zum Nachweis theoretischer Kenntnisse in der Tierheilkunde weiter vermindert werden. Gleichzeitig steht ihnen ein schwerwiegender Eingriff in die Berufsfreiheit gegenüber, denn Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktikern, deren Tätigkeit sich im Wesentlichen auf Behandlungen im Wege der klassischen Homöopathie beschränkt, bleibt mit Einführung des Tierarztvorbehalts im hier angegriffenem Umfang kaum mehr Raum zur beruflichen Betätigung. Das Maß der Belastung der Grundrechtsträger steht daher nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zu den dem gemeinen Wohl erwachsenden Vorteilen.

II. Der in § 50 Abs. 2 TAMG auch für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika durch Tierhalterinnen und Tierhalter angeordnete Tierarztvorbehalt greift unverhältnismäßig in deren allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ein.

Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit von Tierhalterinnen und Tierhalter, die – wie eine der Beschwerdeführerinnen – ihre Tiere klassisch homöopathisch behandeln, ist nicht gerechtfertigt. Der Tierarztvorbehalt dient zwar, auch soweit Tierhalterinnen und Tierhalter von ihm betroffen sind, dem legitimen Zweck der Sicherung der Qualität von Diagnostik und Therapie. Er ist ebenso geeignet und erforderlich, diesen Zweck zu erreichen. Die Regelung ist aber ebenfalls nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne.

Zwar ist das Eingriffsgewicht der Regelung zunächst geringer. Denn Tierhalterinnen und Tierhalter müssen weder eine ihren Lebensunterhalt sichernde Tätigkeit aufgeben noch sich insoweit beruflich neu orientieren. Demgegenüber sind aber die Sicherungen insbesondere des Tierschutzgesetzes, die jedenfalls in schwerer wiegenden Fällen die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes und der Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch mindern, für Tierhalterinnen und Tierhalter ungleich stärker.
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Beschluss vom 29. September 2022
1 BvR 2380/21, 1 BvR 2449/21


Mitteilung Nr. 92/2022
vom 16. November 2022
Bundesverfassungsgericht
www.bundesverfassungsgericht.de
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Kampfhundeverordnung: Fehlende Bereitschaft der Behörden zur Sachverhaltsaufklärung ein häufigeres Problem in der Praxis

Mitteilung: Anwaltskanzlei Dr. Lipinski

Rechtsanwalt Dr. Lipinski weist aus aktuellem Anlass der Bearbeitung zweier Mandate darauf hin, dass die fehlende Bereitschaft der Behörden, den Sachverhalt bestmöglich zu ermitteln, ein häufigeres Praxisproblem darstellt. Bei beiden Mandaten wurde von der Ordnungsbehörde durch behördliche Verfügung festgestellt, dass der konkrete Hund aufgrund behaupteter Beißvorfälle als gefährlicher Hund im Sinne der Kampfhundeverordnung eingestuft werde. Infolge wurde den Tieren jeweils ein Maulkorbzwang und Leinenzwang beim Aufenthalt auf bebauten Flächen auferlegt. … weiterlesen

Kommentar Haltungskennzeichnung: „Die Bezeichnung der Stufen ist enttäuschend“

Defizite in den unteren Stufen deutlich machen / Die FDP provoziert bewusst ein Scheitern des Umbaus der Tierhaltung

Hamburg/Berlin, 07. Juni 2022 – Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat heute endlich seine Eckpunkte zur verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung vorgestellt. Dazu kommentiert die globale Stiftung für Tierschutz, VIER PFOTEN: … weiterlesen