Frankfurt, 14.04.2021. Forscher*innen am Zentrum für Wildtiergenetik der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung haben zusammen mit weiteren Kolleg*innen herausgefunden, dass Wölfe sich in Mitteleuropa auf die gleiche Weise ausbreiten, wie in dünn besiedelten Gegenden Skandinaviens oder Nordamerikas. Dies zeigt eine gerade erschienene Studie auf Basis von 1341 genetischen Proben aus dem bundesweiten genetischen Wolfsmonitoring, welche die frühe Besiedlungsphase des großen Beutegreifers in Deutschland rekonstruiert. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift „Heredity“.
Der Wolf wurde in Mitteleuropa vor mehr als 150 Jahren durch intensive Jagd ausgerottet. Durch den strengen Schutz der Art konnten sich seit dem Jahr 2000 schließlich die ersten Wolfsrudel in Nord- und Ostdeutschland ausbreiten. Aktuell sind 166 Rudel und Paare in Deutschland bekannt.
Wissenschaftler*innen am Zentrum für Wildtiergenetik der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung haben nun beschrieben, wie sich diese Ausbreitung und Wiederansiedlung im Einzelnen vollzogen hat. Zusammen mit Kolleg*innen des LUPUS-Instituts für Wolfsforschung haben sie über DNA-Analysen präzise rekonstruiert, auf welchen Wegen der Wolf zurück nach Deutschland gekommen ist. „Ausgehend von der Lausitz in der sächsisch-polnischen Grenzregion haben sich Wölfe nach einer zunächst eher zögerlichen, lokalen Vermehrung sprunghaft über lange Distanzen ausgebreitet und so innerhalb weniger Jahre neue Gebiete, wie die Lüneburger Heide besiedelt“, berichtet Anne Jarausch, die Hauptautorin der Studie, die gerade in der renommierten internationalen Fachzeitschrift Heredity erschienen ist. Diese spezielle Ausbreitungsart, das sogenannte „stratified dispersal“, ermöglicht den Rudeln eine schnelle Erschließung neuer, auch weit entfernter Gebiete. Anders als erwartet, ist die Ausbreitung des Wolfes in unserer mitteleuropäischen Kulturlandschaft nicht von Besiedlungsprozessen aus naturnahen, dünn besiedelten Gebieten Osteuropas, Skandinaviens oder Nordamerikas zu unterscheiden.
Die im Rahmen des behördlichen Wolfmonitorings der Bundesländer beauftragten DNA-Analysen zeigen ferner, dass in der noch kleinen Wolfspopulation anfangs eine Reduzierung der genetischen Vielfalt zu beobachten war. Dies lässt sich auf einen sogenannten „Flaschenhalseffekt“ zurückführen. Die ursprüngliche Besiedlung ging von wenigen Gründertieren aus Ostpolen aus. Dabei konnte nur ein Teil der genetischen Vielfalt aus der Ursprungspopulation erhalten werden. Durch die Ausbreitung und gelegentliche Zuwanderung von zumeist männlichen Wölfen aus Polen nimmt die genetische Vielfalt aber langsam zu. Trotz dieser verringerten genetischen Vielfalt wird Inzucht zwischen eng verwandten Tieren weitgehend vermieden. Nur in wenigen Fällen war Inzucht zwischen Geschwistern oder Eltern und Nachkommen nachweisbar. Auch Hybridisierungen kamen nur selten vor: Eine Verpaarung mit Haushunden wurde im Zeitraum bis zur letzten Erfassungssaison 2015/16 nur ein einziges Mal genetisch nachgewiesen.
Wann der in der Studie dargestellte fortlaufende Anstieg der Wolfspopulation endet, lässt sich nicht präzise vorhersagen. „Es könnte durchaus sein, dass Wölfe weite Teile Deutschlands besiedeln werden, da die Lebensräume für sie in vielerorts günstig sind“, meint Nachwuchswissenschaftlerin Jarausch. „Dennoch werden Wölfe immer seltene Wildtiere in unserer Landschaft bleiben“. Ihre streng territoriale Lebensweise lässt selbst in besonders gut geeigneten Lebensräumen keine hohen Besiedlungsdichten zu. In der Lausitz etwa nimmt der Bestand seit Jahren nicht mehr zu, obwohl er nicht durch den Menschen reguliert wird. „Ein Rudel ist eine Familie von meist fünf bis zehn Tieren auf einer Fläche des Stadtgebiets von Frankfurt oder Hannover – viel mehr ist bei Wölfen nicht möglich. Auch wenn es irgendwann hunderte von Wolfsrudeln in Deutschland geben sollte, die allermeisten Menschen werden das Tier in freier Wildbahn nie zu Gesicht bekommen“, resümiert Dr. Carsten Nowak, Leiter des Senckenberg Zentrums für Wildtiergenetik.
Auch zukünftig werden DNA-Analysen Auskunft über die Verbreitungsmuster der Wölfe geben. Als nationales Referenzzentrum für genetische Wolfsanalysen werden am Senckenberg-Standort im hessischen Gelnhausen jährlich bis zu 2000 genetische Wolfsnachweise anhand von Kot, Haaren, Urinspuren oder Speichelabstrichen an getöteten Beutetieren erbracht, die im Auftrag der Umweltbehörden der Bundesländer an das Senckenberg-Labor im hessischen Gelnhausen geschickt werden.
Studie: Jarausch A, Harms V, Kluth G, Reinhardt I, Nowak C: How the west was won: genetic reconstruction of rapid wolf recolonization into Germany’s anthropogenic landscapes. Heredity (2021). https://doi.org/10.1038/s41437-021-00429-6.
Die Studie ist frei verfügbar unter:
https://doi.org/10.1038/s41437-021-00429-6 (online)
https://www.nature.com/articles/s41437-021-00429-6.pdf (pdf-Datei).
15.04.2021
Judith Jördens
Senckenberg Pressestelle
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
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